Das Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA) gehört in den letzten Wochen und Monaten zu einem der am stärksten diskutierten Themen im Internet. Ziel der Regelung ist, das Vorgehen gegen Produktpiraterie, Fälschungen und andere Verstöße gegen das Urheberrecht zu vereinheitlichen. Nach zunächst virtuellen Protesten im Internet fand eine Vielzahl „analoger“ Demonstrationen der Netzgemeinde statt. Selbst die deutsche Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meldete sich per Video im Internet zu Wort und teilte die Bedenken der Aktivisten.

Was genau ist an der Diskussion dran?

Als Rechtsanwalt, der im gewerblichen Rechtsschutz regelmäßig mit Marken- Urheberrechtsverletzungen konfrontiert ist, weiß man speziell im internationalen Bereich um die Schwierigkeiten der Durchsetzung. Somit erscheint es zunächst wünschenswert, wirksamere gesetzliche Mittel zur Rechtsdurchsetzung an die Hand zu bekommen. Wer schon einmal versucht hat, gewerbliche Schutzrechte in Russland, China oder den Vereinigten Emiraten – alle drei genannten Länder sind nicht Vertragsstaaten von ACTA – durchzusetzen, wird schnell feststellen, dass der Aufwand einer gerichtlichen Durchsetzung unter dem Strich regelmäßig höher ist, als eine wirtschaftliche Einigung im Verhandlungswege. Häufig führt die aufwendige Rechtsdurchsetzung durch die normative Macht des Faktischen zu Vergleichen, die im amerikanischen Bereich gerne als „quick and dirty“ tituliert werden.

Grundsätzlich scheint es daher wünschenswert, mit der Etablierung eines wirksameren Rechts, speziell im internationalen Bereich die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern. Dennoch bestehen nach der hier vertretenen Meinung verfassungsrechtliche vor allem aber auch praktische Zweifel an der Wirksamkeit.

Im Rahmen der Diskussion geht es im Wesentlichen um Art. 27 Abs. 3, nachdem geregelt werden soll:

(3) Jede Vertragspartei ist bestrebt, Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern, die darauf gerichtet sind, Verstöße gegen Marken, Urheberrechte oder verwandte Schutzrechte wirksam zu bekämpfen und gleichzeitig den rechtmäßigen Wettbewerb und – in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei – Grundsätze wie freie Meinungsäußerung, faire Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre zu beachten.

Unklar ist in diesem Zusammenhang, wie diese Kooperationsbemühungen durch einen Vertragsstaat „gefördert“ werden sollen. Nicht zuletzt offen bleibt, ob die sog. Three-Strikes-Internetsperren Bestandteil von ACTA sein sollen. Vereinfacht dargestellt soll hier durch behördliche – nicht richterliche – Anordnung ohne ein formelles Gerichtsverfahren die Möglichkeit eröffnet werden, den Internetanschluss eines beschuldigten Nutzers nach entsprechenden Warnungen zu kappen.

Mangels Klarheit der Regelung und Transparenz des Verfahrens ist verständlich, dass ACTA bei vielen zur Unsicherheit insbesondere in Unkenntnis der verfassungsrechtlichen Schranken führt. Unsicherheit führt zur Angst, Angst zur Ablehnung. Die Kommunikation bei der Entwicklung von ACTA darf daher als suboptimal bewertet werden.

Herauszuheben ist, dass schon jetzt im Falle der wiederholten Urheberrechtsverletzungen eine entsprechende gerichtliche Entscheidung auch nach deutschem Urheberrecht möglich ist; beispielsweise können auch Computer als Tatmittel eingezogen werden (§ 74 StGB). Eine solche Entscheidung steht aber unter strengen Anforderungen, da durch die Tangierung des grundrechtlich geschützten Bereichs der Kommunikations- und Informationsfreiheit ein Gericht im Rahmen eines Strafverfahrens darüber zu entscheiden hat. Verfassungsrechtlich unzulässig wäre daher nach der hier vertretenen Meinung das Kappen des Online-Anschlusses aufgrund nur einer behördlichen Anordnung wie bei Three-Strikes. Folgerichtig dürften solche Regelungen, wären Sie denn mit ACTA bezweckt, ohnehin nicht in deutsches Recht umgesetzt werden können.

Das hohe Gut der informationellen Selbstbestimmung wird nicht zuletzt noch einmal durch die gerade erst am 24.02.2012 verkündete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtswidrigkeit des § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG bestätigt.

Soweit aus Art. 27 ACTA von den Kritikern herausgelesen wird, dass Plattformbetreiber verpflichtet werden könnten, den Internetverkehr zu überwachen, so handelte es sich dann um so genannte Inhaltsdaten, deren Überwachung nur unter ganz engen Voraussetzungen des § 100a Strafprozessordnung durch ein Richter angeordnet werden darf. Hiernach darf eine Überwachung gemäß Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift nur erfolgen wenn Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine (…) schwere Straftat begangen (…) oder vorbereitet hat.

Aufgrund dieses besonderen Richtervorbehalts dürften solche Regelungen zur Überwachung von etwaigen Urheberrechtsverletzungen jedenfalls in Deutschland nicht umsetzbar sein.

Wie bisher auch gilt das so genannte „Notice-and-take-down“-Verfahren, wonach ein Plattformbetreiber bei einem Hinweis auf eine Rechtsverletzung den Inhalt zu löschen hat.

Würde hier die Verfahrenslogik umgedreht, wonach ein Provider beispielsweise in der Pflicht wäre, müsste er ggf. ständig den Internetverkehr überwachen, um sich von einer Haftung freizeichnen zu können. Ein solches Vorgehen dürfte verfassungsrechtlich nicht haltbar sein.

Aus diesem Grunde hat auch der Datenschutzbeauftragte der Europäischen Union in seiner Stellungnahme (2010/C 147/01) erhebliche Bedenken angemeldet. In seinem Fazit stellte er dazu insbesondere fest:

Obgleich das geistige Eigentum für die Gesellschaft wichtig ist und geschützt werden muss, sollte es nicht über die Grundrechte natürlicher Personen in Bezug auf Privatsphäre, Datenschutz und andere Rechte wie Unschuldsvermutung, effektiver Rechtsschutz und Meinungsfreiheit gestellt werden.

Ebenso urteilte der EuGH am 16.02.2012, dass – zusammengefasst – ein Host-Anbieter nicht dazu verpflichtet werden darf, Filter einzusetzen. Die Dritte Kammer des Gerichtshofs dazu:

Zum anderen könnte die fragliche Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil die Gefahr bestünde, dass das System nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte. Denn es ist unbestritten, dass die Antwort auf die Frage der Zulässigkeit einer Übertragung auch von der Anwendung gesetzlicher Ausnahmen vom Urheberrecht abhängt, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variieren. Ferner können bestimmte Werke in bestimmten Mitgliedstaaten gemeinfrei sein, oder sie können von den fraglichen Urhebern kostenlos ins Internet gestellt worden sein (vgl. entsprechend Urteil Scarlet Extended, Randnr. 52).

Unabhängig von den gravierenden verfassungsrechtlichen Bedenken, stellt sich allerdings auch die Frage der verbesserten Rechtsdurchsetzung für Urheberrechte im Internet durch ACTA. Wenngleich verstärkte Regelungen zur Zollbeschlagnahme bei Markenpiraterie sicherlich wünschenswert sind, so gibt das bereits existierende materielle Recht speziell im deutschen und europäischen Bereich den Rechteinhabern wirksame Mittel an die Hand.

Neben schon lange vorhandenen, klassischen urheberrechtlichen Ansprüchen auf Unterlassung, Zerstörung, Schadensersatz sowie Schmerzensgeld wegen Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts führte insbesondere die Umsetzung der sog. EU-Enforcementrichtlinie bereits zur verbesserten Beweissicherung durch Auskunftsansprüchen und Besichtigungsmaßnahmen(§ 101a Urhebergesetz, § 19a Markengesetz).

Entscheidend für den Erfolg der Durchsetzung ist indes neben der gerichtlichen Performance die Effektivität internationaler Vollstreckungsabkommen. Doch selbst wenn diese ausreichen, zeigt sich in der anwaltlichen Praxis, wie schwer es häufig ist, Gegner nicht nur zu ermitteln, sondern auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Nicht selten benennen sich Domain-Inhaber nach Schauspielern und sitzen unter einer Postboxadresse z.B. im World Trade Center in Panama.

Sollen die Kosten nicht außer Verhältnis zur Durchsetzung stehen, ist regelmäßig schon heute das Vorgehen gegen den jeweiligen Internetprovider und Domain-Registrar nach dem Notice and take down- Prinzip angezeigt.

Auch an dieser Problematik dürfte ACTA nichts ändern können, es sei denn, es bestünde die Möglichkeit, Provider zu verpflichten, nationale Internetkommunikation zu blocken, was wiederum unzulässig wäre. Voraussetzung für ein Blocken wäre darüber hinaus technisch die Kenntnisnahme der Inhalte, die geblockt werden sollen. Aufgrund der dezentralen Struktur des Internet, das mit seiner TCP/IP-Struktur aus dem amerikanischen ARPANET hervorging scheint dies auch praktisch nur wenig Erfolg versprechend. Prinzip der gegenwärtigen TCP/IP-Technik ist, dass Datenpakete vom Sender zum Empfänger übertragen werden, dies indes dezentral über völlig unterschiedliche Server weltweit laufen kann und am Empfangsort das wieder zusammengesetzt werden; fällt ein Server aus, wird ein anderer genutzt. Selbst wenn man mit der größtmöglichen „Sorgfalt“ versucht, Internetkommunikation zu unterbinden zeigen doch Beispiele wie WikiLeaks trotz größtmöglichen technischen Sachverstands und finanziellen Aufwands die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens.

Daraus folgt nach diesseitiger Meinung, dass im Spannungsverhältnis zwischen Eigentumsrechten und Meinungsfreiheit ACTA in der gegenwärtigen Fassung für Rechteinhaber kaum eine wirkliche Verbesserung bringen dürfte, demgegenüber die Grundrechte der Internetnutzer, je nach Intensität der nationalen Umsetzung, unangemessen beschränken könnte.

Durch ACTA würde sich in Deutschland nach diesseitiger Einschätzung durch die engen verfassungsrechtlichen Schranken sowie der bereits längst erfolgten Rechtsumsetzung zum Urheberschutz nichts ändern.

Wenngleich dies sicherlich als progressiver Ansatz gelten dürfte, wäre über die Vertragsstaaten von ACTA hinaus als alternatives Modell zu prüfen, inwieweit nicht eine pauschale Rechteabgeltung oder eine kollektive Rechteverwertung für Urheberrechte in der digitalen Gesellschaft ein besserer Weg wäre.

Die Gesellschaft befindet sich mehr denn je im digitalen Wandel. Inhalte werden auf Facebook gepostet und geteilt oder Links getwittert häufig ohne Reflektion von urheberrechtlichen Implikationen. Es ist daher zu überlegen, den kommunikativen Wandel des Web 2.0 gesetzgeberische und/oder eine wirtschaftliche Lösungen gegenüberzustellen, die auf lange Sicht ein Ausgleich schafft. Bei einer solchen Prüfung könnte dann entgegen dem jetzigen Vorgehen auch die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) einbezogen werden.

Neben der diskutierten Kulturflatrate oder Computerabgabe, stellt sich die Frage, ob durch attraktive Preise, bis hin zum Selbstvertrieb Nutzer nicht eher bereit sein werden, für Inhalte Kleinstbeträge zu zahlen: Bei einem effektiven und günstigen System wird der Aufwand und das rechtliche Risiko für den Internetnutzer nicht mehr verhältnismäßig zu wenigen Cent für eine legalen Erwerb sein. Hinzukommt das geänderte Nutzerverhalten: Häufig wird gestreamt oder bei Filmen gemietet – z.B. Apple TV. Mittelfristig dürfte daher die Bedeutung der Rechteverwerter zurückgehen, da die klassische Vertriebskette von der Pressung der DVD bis hin zum physischen Vertrieb über Grossisten in die Regale der Händler durch die Online-Nutzung abgelöst werden wird. Hinzukommt der „Eigenverlag“ durch Künstler, die direkt über Plattformen – wie iTunes – vertreiben können.

Mit und ohne ACTA wird sich rechtlich in Deutschland nichts ändern. Vielmehr gilt es Antworten auf die grundsätzlichen, langfristigen Veränderungen zu finden.

 

Weitere Quellen:

  • ACTA im Volltext
  • Statement by Viviane Reding, Vice-President of the European Commission and EU Commissioner for Justice, Fundamental Rights and Citizenship, on freedom of expression and information via the Internet, attempts to block websites, „three-strikes-laws“, and ACTA
  • URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) SABAM
  • Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zu den laufenden Verhandlungen der Europäischen Union über ein Abkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ACTA)