Pressemitteilung Rauschhofer Rechtsanwälte

Bausparkasse muss auch bei einem sieben Jahre nach Abschluss eines Darlehensvertrages erklärten Widerruf Nutzungsersatz für erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen zuzahlen

Wiesbaden, 07.11.2016.

In der wohl einer der ersten Entscheidung eines Oberlandesgerichts nach der Verkündung des Grundsatzurteils vom 12.07.2016 durch den Bundesgerichtshof (Aktenzeichen: XI ZR 564/15) hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt zu einer Vielzahl von Rechtsfragen im Zusammenhang eines widerrufenen Vorausdarlehensvertrages mit einem Bausparvertrag der Bausparkasse Schwäbisch Hall Stellung genommen (Az. 23 U 185/15).

Geklagt hatte ein Rechtsanwalt, der für die im Jahr 2007 geschlossenen Verträge – einen Vorausdarlehensvertrag und einen Bausparvertrag – infolge fehlerhafter Widerrufsbelehrung den Widerruf erklärte. Die Bausparkasse wickelte nach entsprechender anwaltlichen Klageandrohung und Fristsetzung sowohl den Vorausdarlehensvertrag als auch den Bausparvertrag nach Widerrufsgrundsätzen zurück ab, verweigerte indes die Anrechnung einer Verzinsung für die vom Kläger geleisteten Zahlungen.

Der Kläger erhob sodann Klage vor dem Landgericht Wiesbaden auf Verzinsung sowohl der Zahlungen auf den Vorausdarlehensvertrag als auch bezüglich der Zahlungen des Bausparvertrages.
Trotz der durchgeführten Rückabwicklung erhob die Bausparkasse sodann Widerklage auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung.

Das Landgericht Wiesbaden wies sowohl Klage als auch Widerklage ab.

Nutzungsersatz 2,5% anstelle 5%

Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt nun die Bausparkasse zur Verzinsung der auf das Vorausdarlehen geleisteten Zahlungen, änderte aber seine Rechtsprechung dahingehend, dass anstelle von 5 % über dem Basiszinssatz nunmehr nur noch 2,5 % über dem Basiszinssatz  für die Verzinsung zu berücksichtigen seien.

Das 18-seitige Urteil ist aufgrund des intensiv zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits sehr instruktiv und weist zu einer Vielzahl von Rechtsfragen Entscheidungen auf.

Abwicklung nach Widerrufsgrundsätzen nicht bindend

Anders, als das Oberlandesgericht Düsseldorf, das durch Abwicklung nach Widerrufsgrundsätzen die Frage, ob noch ein Widerruf erklärt werden konnte, als unerheblich ansah, vertritt das Oberlandesgericht Frankfurt die Meinung, dass die Rechtsfrage, ob der Widerruf wirksam war und welche Rechtsfolge daran geknüpft wären Rechtsfragen seien, deren Beantwortung dem Gericht obliegt.

Demgegenüber urteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil vom 17. Januar 2013 ·
Az. I-6 U 64/12):

Ob der Beklagte das gesetzliche, ihm bei dem hier vorliegenden Verbraucherkredit zustehende Widerrufsrecht gemäß den §§ 495 Abs. 1, 355 BGB im Oktober 2008 tatsächlich noch wirksam ausüben konnte, (…) braucht damit im Ergebnis nicht abschließend entschieden zu werden, weil die Klägerin sich nach den Umständen jedenfalls auf eine Rückabwicklung des Darlehensvertrages nach Widerrufsgrundsätzen eingelassen hat und sich daran selbst dann festhalten lassen muss, wenn ein entsprechendes Widerrufsrecht des Beklagten tatsächlich nicht mehr bestanden haben sollte.

In der Konsequenz der Frankfurter Entscheidung hatte somit der Zivilsenat die kompletten Fragestellungen zur Begründetheit des Widerrufs durchzuprüfen.

Zunächst einmal ging es um die vergleichsweise einfache Frage, ob die Widerrufsbelehrung zu beanstanden war, um die weitere Frage zur etwaigen Verfristung des Widerrufs zu entscheiden.

„Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ keine ausreichende Belehrung

Durch die Formulierung „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ konnte die Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt werden, weil die Formulierung den Verbraucher über den maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist nicht umfassend und damit nicht richtig belehrte.

Keine Verwirkung nur wegen Nichtausübung des Widerrufsrecht

Als nächste Verteidigung der Bausparkasse musste über die Frage eine Verwirkung entschieden werden. Hier findet sich – speziell in der von sicherlich interessierten Kreisen beeinflussten Literatur – eine Vielzahl von Fundstellen. Richtigerweise wurde eine solche Verwirkung verneint, da nur aus dem Vorliegen des sogenannten Zeitmoments im Rahmen der Verwirkung der Vertragspartner nicht damit gerechnet werden könne, dass man sich auf der Nichtausübung des Widerrufsrecht eingerichtet hat.

Kein rechtsmissbräuchliches Vorgehen – Motivation des Verbrauchers zur Ausübung des Widerrufsrechts unerheblich

Als nächste Verteidigungslinie der Bausparkasse fiel dann der Einwand des sogenannten rechtsmissbräuchlichen Vorgehens. Wie der Bundesgerichtshof in der jüngsten, vorgenannten Entscheidung aus dem Juli 2016 judizierte, kommt es nicht auf die Motivation des Verbrauchers zur Ausübung des Widerrufsrechts an. Ebenso wenig können das Eintreten der gesetzlichen Rechtsfolgen des Widerrufs an sich sowie etwaige gesamtwirtschaftliche Folgen der vermehrten Ausübung von Widerrufsrecht in die Abwägung einfließen.

Als Zwischenergebnis konnte somit der Kläger die Verzinsung des von ihm auf das Vorausdarlehen geleisteten Zins- und Tilgungszahlung verlangen.

Bei der diesbezüglichen Höhe war bisher von einer fünfprozentigen Verzinsung auszugehen, die nunmehr durch das Oberlandesgericht Frankfurt in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs und abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nur noch mit 2,5 % über dem Basiszinssatz zu berechnen war.

Darlehensvertrag und Bausparvertrag kein einheitlicher Vertrag

Die nächste auch grundsätzlich entscheidungserhebliche Frage bestand darin, ob mit dem erklärten Widerruf auch der Widerruf des Bausparvertrages erklärt werden konnte. Herauszuheben ist, dass

  1. der Antrag auf Abschluss eines Bausparvertrages und die Darlehensanfrage vom selben Tage datierten,
  2. vom selben Mitarbeiter der Beklagten unterzeichnet wurden,
  3. der Abschluss beider Verträge in den gleichen Räumen stattfand,
  4. die Laufzeiten der Verträge identisch sind.
  5. Der Bauspardarlehensvertrag nennt in seinem Text den Bausparvertrag ausdrücklich als „Grundlage für das Vorausdarlehen“.
  6. Hinzu kommt, dass auf Seite fünf des Vorausdarlehensvertrages unter „Tilgung“ anstelle der direkten Tilgung der Bausparvertrag genannt wurde und, dass
  7. bei Zuteilung des Bausparvertrages das Vorausdarlehen ohne besondere Erklärung mit den aus dem Bausparvertrag bereitgestellten Mitteln verrechnet wird.
  8. Ferner wurden alle gegenwärtigen und zukünftigen Rechte aus dem vorfinanzierten Bausparvertrag an die Bausparkasse zur Sicherung des Vorausdarlehens verpfändet.

Trotz dieser sowohl tatsächlich als auch in der wirtschaftlichen Gesamtschau miteinander unmittelbar verzahnten Verträge, nahm der Senat nicht die Verbindung dieser Geschäfte an und urteilte, dass der Kläger aufgrund seines Widerrufs nur die Rückzahlung der auf das Vorausdarlehen erbrachten Zinsleistungen einschließlich eines auf diese Zahlung entfallenden Nutzungsersatz verlangen kann, demgegenüber soll der Kläger nicht die auf den Bausparvertrag geleisteten Sparraten verzinst zurückerhalten, weil kein einheitlicher Vertrag im Sinne von § 358 BGB vorläge.

Rechtskonstruktiv ist bei Anwendung des § 358 Abs. 3 BGB dies zwar nachvollziehbar, da nach dem Gesetzeswortlaut in dieser Fallkonstellation ein Darlehen dem Bausparvertrag als Finanzierung hätte dienen müssen – nicht umgekehrt. Dennoch wird auch die, nicht zuletzt aus Gerechtigkeitserwägungen in der Literatur vertretene Auffassung, der entsprechenden Anwendung von §§ 359a a.F. bzw.  360 BGB n.F. abgelehnt.

Ergebnis dieser Rechtsfindung wäre somit, hätte sich die Bausparkasse nicht auf eine Rückabwicklung auch des Bausparvertrages eingelassen, dass im Falle eines Widerrufs der Verbraucher bei einer Neufinanzierung sowohl dort dann Tilgung und Verzinsung leisten muss als auch der Bausparvertrag fortbestünde.

Diese Rechtsfrage der Verbindung in einer solchen Fallkonstellation mit identischen Abschlussdaten und wechselseitigen Verweisen ist nach diesseitiger Rechtsauffassung so noch nicht entschieden worden. Weiterhin weichen nun das OLG Düsseldorf und das OLG Frankfurt in der Bewertung des Einlassens der Rückabwicklung unter Widerrufsgrundsätzen voneinander ab.
Das OLG Frankfurt hat die Revision nicht zugelassen; die Revisionsfrist läuft noch.

Zusammenfassend können aus der Entscheidung des OLG Frankfurt folgende Leitsätze formuliert werden

  1. Bei fehlerhafter Belehrung mit der Formulierung „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ ist die Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt worden. Der Widerruf kann somit auch noch sieben Jahre nach Abschluss eines Darlehensvertrages erklärt werden.
  1. Eine Verwirkung des Widerrufsrechts scheidet regelmäßig aus und kommt nur dann in Betracht, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Widerrufsrecht nicht mehr geltend machen werde, und sich im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde.
  1. Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist nicht bereits dann schon gegeben, weil die Ausübung des Widerrufsrechts nicht durch den Schutzzweck des Verbraucherwiderrufsrechts motiviert ist. Der Gesetzgeber hat den Widerruf von jedem Begründungserfordernis freigehalten.
  1. Ein erklärter Widerruf erstreckt sich nur auf einen Vorausdarlehensvertrag. Ein zeitgleich abgeschlossener Bausparvertrag, der mit denselben Beteiligten und Ansprechpartnern in denselben Räumen am selben Tage abgeschlossen wurde und als Grundlage für das Vorausdarlehen ausdrücklich genannt wird, sowie zur Sicherung des Vorausdarlehens an die Bausparkasse verpfändet wurde, ist trotz dieses zweifelsohne vorhandenen wirtschaftlichen Zusammenhangs kein verbundenes Geschäft im Sinne des § 358 BGB. Auch eine analoge Anwendung scheidet aus.
  1. In Abänderung der bisherigen Rechtsprechung gilt im Falle eines Immobiliardarlehens als tatsächliche Vermutung für die von einer Bank gezogene Nutzung nicht mehr 5 % über dem Basiszinssatz, sondern als widerlegliche Vermutung nur noch eine Nutzungsvermutung in Höhe von zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz liegenden Zinses.

 

Volltext: Urteil des OLG Frankfurt (Az. 23 U 185/15)